Wie sinnvoll sind 26 Mrd. Euro Corona-Zuschüsse für die europäischen Fluglinien?

Aus Sicht eines ökologisch und volkswirtschaftlich nachhaltig ausgerichteten Bürgers kann es auf diese Frage nur eine Antwort geben: Völlig hirnrissig. Zum einen werden in einer ineffizienten, von Überkapazitäten geplagten Industrie, deren Lobby sich gegen die überfällige Konsolidierung sträubt, zum wiederholten Male gigantische Summen versenkt. Zum anderen vertun wir eine historische Chance, die Verkehrspolitik Europas endlich ökologisch verträglicher zu gestalten.

Greenpeace hat eine erschütternde Auflistung der staatlichen Rettungsaktionen vorgelegt (https://www.greenpeace.org/eu-unit/issues/climate-energy/2725/airline-bailout-tracker/). Allen voran steht darin die Lufthansa mit einer Finanzspritze von neun Mrd. Euro für 20% des Unternehmens plus 5% Wandelrechte. Damit ist sie von Merkel’s Gnaden am besten Weg zum Europäischen Champion nach der Corona-Krise. Nur zur Relation: Der gesamte Marktwert der Lufthansa beläuft sich bei einem aktuellen Aktienkurs von rund elf Euro auf 5,2 Mrd. Euro. Vor der Krise lag der Kurs bei knapp 18 Euro. Wir sehen hier eine Bewertung, die dem Terminus „Goodwill“ eine völlig neue Bedeutung verleiht.

Österreich betätigt sich im Übrigen durch die 600-Millionen-Euro-Rettung der AUA als Merkels Steigbügelhalter. Von den Kosten für die Corona-Hilfe, die die AUA für die Kurzarbeit ihrer MitarbeiterInnen seit Februar in Anspruch nimmt, wollen wir hier großzügig absehen.

Dafür ist Österreich knallhart, wenn es um Hilfe für den Wiederaufbau in Italien geht.

Italien wiederum ist zwar völlig planlos, was die Ankurbelung der Industrie im Norden anbelangt, lässt sich aber bei der Rettung der Allitalia mit einer Drei-Milliarden-Euro-Geldspritze nicht lumpen. Diese Fluglinie hat es immerhin seit 15 Jahren in Serie nicht geschafft, auch nur ein einziges Mal positiv zu bilanzieren – trotz immer neuer Überbrückungskredite. 

Vor der Corona-Krise gab es ja immerhin zarte Vorstöße, die laufenden Subventionen an die Luftfahrtindustrie zu überdenken – z.B. die Steuerfreiheit für Kerosin oder die UST-Befreiung für Flugtickets. Dank Fridays for Futures setzte sich die Idee durch, dass die Subventionierung von Ballermann-Wochenenden quer durch Europa nicht nur für den Klimaschutz sondern auch für einen werthaltigen Tourismus, wie ihn Euopa braucht, kontraproduktiv ist. Die wachsenden Überkapazitäten sollten daher sowohl aus betriebswirtschaftlichen als auch ökologischen Gründen eliminiert werden. Dieser schöne Konsens wurde nun offenbar mit Corona zu Grabe getragen.

Die Politik suggeriert uns nun patriotisch verklärt – die AUA-Flieger sind ja noch mit den Farben unserer Nationalflagge bepinselt, wie strategisch wichtig eine nationale Fluglinie ist. Anscheinend ist der gesamte Wien-Tourismus auf Wohl und Wehe davon abhängig, dass es die AUA mit ihrer Drehkreuzfunktion gibt. Diese Funktion bedeutet am Ende vom Tag, dass mehr als 55% der in Wien abgefertigten Langstreckenflüge Transit-Flüge sind, die den Wiener Luftraum benutzen.

Ein kurzer Rückblick: Aufgrund des angeblich gigantischen Potentials des Flugverkehrs in Osteuropa hatte der Flughafen Wien – unterstützt durch die Länder Wien und Niederösterreich – Anfang der 2000er Jahre den Skylink gebaut – um schlappe 800 Millionen Euro. Wie sich schnell herausstellte, gab es das Osteuropa-Potential dann doch nicht, welches das Überleben der AUA in Eigenständigkeit hätte gewährleisten sollen. Die AUA wurde also 2009 um 366.268 Euro an die Lufthansa „verkauft“. Als Geschenk an den Käufer übernahm die Republik Österreich die Schulden der AUA in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro.

Heute ist Wien ein Lufthansa-Drehkreuz  – im Wettbewerb mit München, Zürich und Brüssel. Aufgrund der liberalen Landezeiten und billigen Landerechte (der Flughafen gehört ja zu 40% der öffentlichen Hand) kann sich Wien gegenwärtig noch gegen die ebenfalls substantiellen Überkapazitäten des Flughafens München behaupten. Allerdings eröffnet im Herbst mit Berlin ein weiterer Lufthansa-Hub, der ebenfalls nach Osten orientiert sein wird.

Die Sorge, dass ich, wenn ich einmal eine Flugreise unternehmen muss, aus Wien nicht rauskomme, weil es die AUA oder das Drehkreuz nicht mehr gibt, habe ich nicht. Mir klingt die ganze Diskussion eher nach einem einzigen langen politischen Fiasko, das uns alle fünf bis zehn Jahre verdammt viel Geld kostet.

Stellen wir einen Vergleich mit den tatsächlich gemeinwirtschaftlich unverzichtbaren ÖBB an, die sich im Vergleich zur Luftfahrt in den letzten Jahren durchaus zu einer Success-Story entwickelt haben. 

Nach einer Studie der Boston Consulting Group (Quelle: BCG, The 2017 European Railway Performance Index) haben sich die ÖBB über die letzten 15 Jahre hinweg ins Spitzenfeld der europäischen Bahnen hochgearbeitet.

Negieren wir einmal die beeindruckende Entwicklung im Cargo-Verkehr, wo die ÖBB nicht nur in Österreich, sondern auch in Ungarn Marktführer sind, und europaweit die Nummer Zwei hinter dem Branchenriesen Deutschland, wo das Potential des Bahntransports zugunsten der LKW-Lobby lange ignoriert wurde, und konzentrieren uns nur auf den Personenverkehr. Denn die Vergleichszahlen zeigen auch hier ein eindeutiges Bild:

Wer ist wichtiger für Österreich?ÖBBAustrian Airlines
 
 Mitarbeiter                           41,904                          6,989 
Gehalt Zugführer vs. Kapitän€30.000-€50.000€75.000-€100.000
Fahrgäste 477 Mio p.a.14.7 Mio p.a.
Züge/Flüge pro Tag im Personenverkehr149 Langstreckenzüge à 408 Plätze381 Flüge à max. 189 Plätze
 Umsatz (in Mio)                  € 5,644                      €2,100 
EBT (in Mio)                               € 150                         €19 
EBIT (in Mio)                               € 788  n.a. 
Eigenkapitalquote8.50%Lufthansa: 23.79%
Investitionen – Instandhaltung (in Mio)                           € 1,200 n.a.
Investitionen – Neuausbau (in Mio)                           €1,700 n.a.
Jährliche Zuschüsse vom Bund (primär für lfd. Investitionen) in Mio€2,110 n.a.
Zuschüsse für unwirtschaftliche Strecken von Bund, Ländern und Gemeinden in Mio                           €1,136 n.a.
akumulierte Gesamtschulden der ÖBB€24,000 n.a.
   
Wertschöpfung (jeweils eigene Aussagen): Multiplikator-Effekt1.31.3
Quellen: ÖBB, Zahlen Daten Fakten 2018, ÖBB Geschäftsbericht 2018, Lufhansa Geschäftsbericht 2019, AUA Pressemitteilungen

Nur zur Klarstellung: Die ÖBB verantworten die gesamte Bahninfrastruktur in ihrer Bilanz und haben diese zu finanzieren. Da der Bund für die Schulden haftet, ist die Eigenkapitalausstattung der ÖBB denkbar dünn. Das bedeutet aber natürlich auch einen gewaltigen jährlichen Schuldendienst, den die ÖBB zu bestreiten haben (Siehe EBT vs. EBIT oben).

Alleine die Neuinvestitionen (mit Grossprojekten wie Semmering-, Koralm- und Brennerbasistunnel)  belaufen sich gegenwärtig auf mehr als 1,7 Mrd. Euro. Von Instandhaltungskosten ganz zu schweigen. Darin sind im Übrigen auch Bahnhöfe, Park& Ride sowie Lärmschutzanlagen mit eingerechnet. Alles Investitionen, mit denen keine europäische Fluglinie je belastet worden wäre. 

Das bringt mich zum Punkt „indirekte Wertschöpfung“: Alleine aufgrund der laufenden Investitionen der ÖBB kann ich mir gut vorstellen, wo diese herkommt. Wo allerdings die 1,3 Mrd. Euro an Wertschöpfung bei der AUA herkommen, kann ich mir nicht erklären. Flughafen Wien? Tourismus Wien? Taxler Schwechat? 

Kommen wir last but not least zur CO2-Belastung: Wir alle wissen, dass die ÖBB in Europa Spitzenreiter sind, denn 100% des Bahnstroms kommen aus erneuerbarer Energie. Das ist sicherlich primär der geografischen Lage Österreichs geschuldet und weniger direktes Verdienst der ÖBB. Aber Fakt ist, dass die jährliche CO2-Ersparnis durch die Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs von Straße und Luft auf die Schiene mit 3,5 Mio. Tonnen essentiell für die Erreichung der Klimaziele Österreichs ist. 

Der Vergleich der Energieeffizienz spricht für sich:

CO2-Emissionen der ÖBB im Vergleich: 

zu Pkw                                      1:15

zu Flugzeug                               1: 31

zu Lkw (vs. ÖBB Güterverkehr)  1: 21

Der weitere Ausbau des Schienennetzes und die positive Annahme durch Bevölkerung und Wirtschaft sind für dieses Ziel unabdingbar. Hier Geld zu investieren, macht für mich weit mehr Sinn, als 600 Mio. Euro in das wirtschaftlich und ökologisch unrentable Lufthansa-Anhängsel AUA zu stecken. Und das gleiche gilt natürlich auch im euopäischen Kontext: Eine sinnvolle Bahn-Strategie zu entwickeln, die eine echte Alternative zu Kurzstreckenflügen bietet, würde nicht nur gewaltige Multiplikatoreffekte durch Investitionen in Infrastruktur, Logistik und Flotten bringen, sondern unsere gemeinsame Klimabilanz nachhaltig verbessern. 26 Milliarden Euro könnten da schon etwas bewegen…

Übrigens werden die Fluglinien weltweit rund 200 Mrd. Euro an Beihilfen absahnen. Davon alleine in den USA über 25 Milliarden für den Personenverkehr. Pikanterweise ist das ziemlich genau jene Summe, die die führenden Fluglinien in den letzten Jahren für ihre Aktienrückkäufe ausgegeben haben. Aktionäre haben also Kapital eingestrichen, das diesen Fluglinien nun in Zeiten der Krise fehlt – und die Steuerzahler müssen dafür geradestehen.

Diese Chupze ist uns in der EU erspart gebliebenen. Unsere Fluglinien erwirtschaften ihre Verluste wenigstens auf traditionelle Weise.